Der Darm und sein Mikrobiom

Als das Mikrobiom des Darms bezeichnet man die Gesamtheit der Billionen von Bakterien, Viren und Pilzorganismen, die den Darm besiedeln.

Das Mikrobiom ist am Abbau von Nährstoffen und Toxinen beteiligt, es schützt uns vor zahlreichen Erregern und es stellt Vitamine her.

Außerdem reguliert das Mikrobiom unser Immunsystem. Dies ist einer der Gründe, warum das Mikrobiom das Interesse der MS-Forscher geweckt hat und warum nun untersucht wird, welche Rolle es bei MS spielt – einer Krankheit, bei der das Immunsystem zum Überreagieren neigt und starke Entzündungen auslöst.

Entzündungsfördernde Mikroorganismen

Die einfachste Art, das Darmmikrobiom einer Person zu untersuchen, ist eine Stuhlanalyse. Ein Forscherteam der University of California verglich den Stuhl von 71 MS-Patienten mit dem Stuhl von 71 gesunden Personen.

Die Wissenschaftler fanden heraus, dass zwei Bakterienarten, A. muciniphila und A. calcoaceticus, bei MS-Patienten stärker vertreten waren als bei den Personen ohne MS. P. distasonis hingegen war bei MS-Patienten in geringeren Mengen vorhanden als bei den gesunden Personen.

Um die potenzielle Rolle der einzelnen Bakterienarten bei der MS besser zu verstehen, untersuchten die Wissenschaftler ihre Bedeutung für das menschliche Immunsystem.

Dafür fügten sie dem Blut gesunder Menschen (das Blut enthält alle Arten von Immunzellen) Proben der unterschiedlichen Bakterienarten hinzu.

Die Wissenschaftler fanden heraus, dass sowohl A. muciniphila als auch A. calcoaceticus die Zahl der entzündungsfördernden Immunzellen (T-Helferzellen) im Blut erhöht, während P. distasonis die Zahl der Immunzellen erhöht, die überschießende Entzündungsreaktionen und die Autoimmunität eindämmen (regulatorische T-Zellen).

Diese Beobachtungen wurden bei Labormäusen bestätigt, die in einer keimfreien Umgebung aufgewachsen waren: Wurden die Mäuse ausschließlich mit A. muciniphila oder A. calcoaceticus besiedelt, nahm das Entzündungsgeschehen zu, bei einer Besiedelung mit P. distasonis nicht.

Die Studienergebnisse deuten darauf hin, dass eine bestimmte Zusammensetzung des Darmmikrobioms zu einem entzündungsfördernden Immunprofil und so zur Entstehung und zum Fortschreiten der MS beitragen könnte.

Das Darmmikrobiom als MS-Auslöser?

In einer zweiten Studie, die unter der Federführung des Max-Planck-Instituts für Neurobiologie in Deutschland durchgeführt wurde, wurde das Darmmikrobiom von 34 eineiigen Zwillingspaaren analysiert, von denen jeweils nur ein Zwilling an MS erkrankt war. Wie in der ersten Studie zeigte sich, dass A. muciniphila bei den MS-Patienten häufiger vorkam. Da eineiige Zwillinge genetisch zu 100 % identisch sind, könnte die Zusammensetzung des Darmmikrobioms daher ein entscheidender Faktor dafür sein, ob ein Zwilling erkrankt oder nicht.

Um den Unterschied in der Zusammensetzung des Mikrobioms genauer untersuchen zu können, transplantierten die Wissenschaftler die Mikroorganismen der einzelnen Zwillinge in Mausmodelle der MS. Dabei fanden sie heraus, dass es bei den Mäusen, die Mikroorganismen des Zwillings mit MS erhalten hatten, häufiger zu einer MS-ähnlichen Hirnentzündung kam als bei Mäusen, die Mikroorganismen des gesunden Zwillings erhalten hatten. Dies ist ein weiterer Hinweis darauf, dass das Darmmikrobiom eine Autoimmunität und eine MS auslösen könnte.

Das Darmmikrobiom als Ziel der MS-Therapie?

Die Entstehung einer MS kann man nicht allein dem Darm zuschreiben. Allerdings deuten die beiden Studien darauf hin, dass das Darmmikrobiom zur Entstehung und zum Fortschreiten der MS beitragen könnte, indem es das Immunsystem verändert.

Die Ergebnisse der beiden Studien sind zwar vielversprechend, sie beruhen jedoch auf einer kleinen Datenbasis. Daher bedarf es weiterer Untersuchungen, um die Ergebnisse zu bestätigen und um zu verstehen, wie genau bestimmte Bakterienarten unsere Immunzellen beeinflussen.

In Zukunft könnten Therapien entwickelt werden, die gegen die entzündungsfördernden Bakterien im Darm gerichtet sind. So könnte eine Besserung oder sogar Prävention der MS erreicht werden.

Olivia Miossec
Master of Science

Literatur

Aktion Multiple Sklerose Erkrankter, Landesverband der DMSG in Baden-Württemberg (AMSEL) e.V. [Internet] Darmflora und Multiple Sklerose. [Abgerufen am 17. März 2018]. Abrufbar unter:http://www.amsel.de/multiple-sklerose-news/medizin/Darmflora-Multiple-Sklerose_5880

Aktion Multiple Sklerose Erkrankter, Landesverband der DMSG in Baden-Württemberg (AMSEL) e.V. [Internet] Multiple Sklerose und Darmflora. [Abgerufen am 17. März 2018]. Abrufbar unter:http://www.amsel.de/multiple-sklerose-news/medizin/Multiple-Sklerose-und-Darmflora_6510

Aktion Multiple Sklerose Erkrankter, Landesverband der DMSG in Baden-Württemberg (AMSEL) e.V. [Internet] Darmflora als Ursache für Multiple Sklerose. [Abgerufen am 17. März 2018]. Abrufbar unter:http://www.amsel.de/multiple-sklerose-news/medizin/Darmflora-als-Ursache-fuer-Multiple-Sklerose_4147

DMSG Deutsche Multiple Sklerose Gesellschaft, Bundesverband e. V. [Internet] Gesunde Darmflora als Auslöser von Multipler Sklerose im Verdacht. [Abgerufen am 17. März 2018]. Abrufbar unter: https://www.dmsg.de/multiple-sklerose-news/leben-mit-ms/gesunde-darmflora-als-ausloeser-von-multipler-sklerose-im-verdacht/

DMSG Deutsche Multiple Sklerose Gesellschaft, Bundesverband e. V. [Internet] Multiple Sklerose wie Darmbakterien die Gesundheit des Gehirns beeinflussen. [Abgerufen am 17. März 2018]. Abrufbar unter: https://www.dmsg.de/multiple-sklerose-news/ms-forschung/multiple-sklerose-wie-darmbakterien-die-gesundheit-des-gehirns-beeinflussen/

Berer, K., Gerdes, L., Cekanaviciute, E., Jia, X., Xiao, L., Xia, Z. und Kümpfel, T. Gut microbiota from multiple sclerosis patients enables spontaneous autoimmune encephalomyelitis in mice. 2017. Proceedings of the National Academy of Sciences. 201711233. Abrufbar unter: 10.1073/pnas.1711233114

Cekanaviciute, E., Yoo, B., Runia, T., Debelius, J., Singh, S., Nelson, C. und Crabtree-Hartman, E. Gut bacteria from multiple sclerosis patients modulate human T cells and exacerbate symptoms in mouse models. 2017. Proceedings of the National Academy of Sciences. 201711235. Abrufbar unter: 10.1073/pnas.1711235114